Annie Fischer - Bildgewebe

Annie Fischer - Texte

Burgomenta 01
Ausstellung in der Burg zu Hagen vom 12.07. - 06.09.2015
Einführung zur Eröffnung am 12.07.2015
©Anne Beel

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreundinnen, liebe Kunstfreunde, liebe Künstlerinnen,

ich freue mich sehr, Sie heute Nachmittag hier in der Burg zu Hagen begrüßen und in die erste burgomenta einführen zu dürfen. Die Ausstellung zeigt ausgewählte bildhauerische Werke von sieben Künstlerinnen aus der Region mit zwei Seitenblicken nach Schleswig-Holstein und nach Gütersloh. Diese sieben Künstlerinnen vertreten verschiedene Positionen der zeitgenössischen Kunst und zeigen die große Bandbreite von bildhauerischen Arbeiten heutzutage. Neben fast klassisch - im Sinne von zeitlos - zu nennenden Holzskulpturen und Tonplastiken präsentiert die burgomenta 01 Ihnen Objekte aus ungewöhnlichen Materialien, erweiterte Readymades sowie Assemblagen und umfasst damit eine große Bandbreite von Formen, Materialien und Bedeutungsvielfalten zeitgenössischer Kunstproduktion. Der besondere Reiz dieser Ausstellung liegt, wie bei der documenta, im gleichberechtigten Zugang zu unterschiedlichsten künstlerischen Verfahren, verschiedensten künstlerischen Positionen und deren Gegenüberstellung.

Die Ausstellung nutzt dementsprechend in der Präsentation die Möglichkeit einen freien, neuen Assoziationsraum aufzuspannen und neue Querverbindungen herzustellen, die dem Begreifen, Fassen und Gestalten der Welt dienen. Kunst lässt uns so Dinge neu erfahren, neu entdecken und den Staub des Alltags von der Seele waschen, wie Pablo Picasso es ausdrückte.

Die erste burgomenta konzentriert sich auf die Gattung der Bildhauerei, die, wie es der Künstler Donald Judd fasste noch einen größeren allumfassenden Anspruch an die Betrachterin und den Betrachter als die Malerei oder Fotografie stellt: "Tatsächlicher Raum ist aus sich heraus viel kraftvoller und spezifischer als Farbe auf einer ebenen Oberfläche." So ist es nicht erstaunlich, dass in der zeitgenössischen Kunst, in der die Erlebniswelt der Betrachtenden eine immer größere Rolle spielt, die Bildhauerei und damit auch gerade ihre relativ neuen Formen der Installation, des Environments und Objektarrangements an Bedeutung gewinnen. Die Bildhauerei wird hier zum Sinnbild für die global und fragmentarisch gewordene Welt. ...

Als gelernte Bildweberin und nach einem Studium der textilen Formgebung in Kopenhagen ist der Umgang mit gewebten Garnen und Fäden für die Künstlerin Annie Fischer, die aus dem Kreis Gütersloh kommt, elementar. Ganz nach dem Ausspruch des Dichters Comte de Lautreamont "Schön...wie die zufällige Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf dem Seziertisch", der einen zentralen Aspekt der Surrealisten zum Ausdruck bringt, überrascht sie uns mit ihren aus dem ursprünglichen Kontext gerissenen Materialien, die sie verwebt und verbindet auf neue und assoziationsreiche Art. Bei ihr ist es das Zusammenspiel von Gegensätzlichem, welches eine "ver-rückte" Wirklichkeit sichtbar macht und das auf Unterbewusstes und Traumhaftes verweist. Sie spielt mit Metaphern, zaubert uns ein Lächeln aufs Gesicht, denn Annie Fischer macht Gedanken haptisch erfahrbar. In der Burg zu Hagen zeigt sie ganz aktuelle Arbeiten aus dem Jahr 2015, die die zwei Pole ihres Schaffens Komik und Tragik zum Ausdruck bringen. Als klinische Psychologin sind die Abgründe der menschlichen Seele ihr nicht fern, um so wichtiger ist es da sicherlich auch einen augenzwinkernden Blick auf das Leben zu werfen. Ihr Rollator ist mit einer Kehrwalze versehen und will noch die Rentnergeneration zu Höchstleistungen in der Leistungsgesellschaft animieren, die mit ihren Rollatoren ja die Straßen säubern könnten, die Lottokugeln sind filigran im Moment des Fallens in einer Matratzenkonstruktion gefangen. Eine tragische und kritische Seite zeigt dann wiederum ihr Objekt "... und eingeflößt". Infusionsschläuche führen direkt in umgedrehte Grabvasen und werfen Fragen nach Sinn und Risiken unseres Gesundheitssystem auf. Aufgeschnittene lassen an Haarausfall und Verfall denken. Hinter dem offensichtlichen Ideenreichtum der Materialverwendung und -verbindung erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick die ästhetische Dimension der Farb- und Formauswahl. Ihre Objekte und Installationen erschaffen neue Sinnzusammenhänge, die eine Inspiration für jeden darstellen können. Nur nebenbei gesagt auch im Werk dieser Künstlerin schimmert ein weiblicher Aspekt hindurch, denn die Weberei, eine Grundlage ihrer Kunst, ist als eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit lange Zeit eine weibliche Tätigkeit par excellence gewesen. ...

Nach diesen einführenden Worten möchte ich Sie nun selbst dazu einladen, mit den Werken, mit den Künstlerinnen, die heute alle mit Ausnahme von Barbara Lorenz-Höfer anwesend sind und natürlich auch mit den anderen Besucherinnen und Besuchern in den Dialog zu treten. Lassen Sie das produktive Wechselspiel der unterschiedlichen künstlerischen Positionen, Materialien und Gedanken auf sich wirken und finden eigene neue Zugänge und auch Fragen. Denn Kunst wirft unabdingbar immer wieder neue Fragen auf und verschließt sich bewusst der Eindeutigkeit.

Anne Beel, M.A., Kunsthalle Bremen